Krimi ohne Leiche, aber mit Sprengkraft: "Polizeiruf 110: Hexenjagd" heute (28.08.2025) im RBB

© rbb/Oliver Feist
Wenn der RBB heute Abend (28.08.2025) um 20:15 Uhr den "Polizeiruf 110: Hexenjagd" wiederholt, erleben die Zuschauer eine der ungewöhnlichsten und fesselndsten Folgen der Reihe. Schon die Grundprämisse bricht mit den gängigen Erwartungen des Genres: Es gibt keinen Mord, keine Leiche, die es zu finden gilt. Stattdessen steht ein Rohrbombenanschlag im Zentrum der Ermittlungen. Dieser mutige erzählerische Kniff macht den Film zu einem intensiven psychologischen Drama, das weit über die üblichen Grenzen eines Sonntagabendkrimis hinausgeht und bis zur letzten Minute fesselt. Die Handlung spielt an einer Mittelschule und reflektiert in den urbanen und zugleich ländlichen Drehorten in Berlin, Bad Saarow und am Scharmützelsee die sozialen Spannungen, die unter der Oberfläche brodeln.
Ein komplexes Netz aus Schuld und Verdacht
Die Geschichte beginnt mit einem lauten Knall: Ein Rohrbombenanschlag auf eine Schulleiterin. Doch an ihrer Stelle wird die junge Referendarin Josephine Mayfeld (Kim Schnitzer) schwer verletzt. Glücklicherweise überlebt sie die Explosion, was Kommissarin Olga Lenski (Maria Simon) und Hauptmeister Horst Krause (Horst Krause) vor ein Ermittlungsrätsel ohne klassischen Tatort stellt. Das Duo taucht tief in die Welt der Schule ein, die sich als Mikrokosmos menschlicher Abgründe erweist. Zuerst geraten die Zehntklässler ins Visier, die kurz vor dem Abschluss stehen. Besonders die, deren Leistungen gefährdet sind. Bald schon verdächtigen die Ermittler auch Lehrer, die im Chemikalienraum ein- und ausgehen, und eine besorgte Elternbeiratsvorsitzende, Andrea Wieland (Annika Kuhl), die über Facebook einen Unterrichtsboykott organisiert hat und so Ben Wieland (Anselm Bresgott), ihren Sohn, zu schützen versucht. Auch der unscheinbare Hausmeister Daniel Radke (Franz Rogowski) und der pensionierte Lehrer Otto Jentsch (Hans-Uwe Bauer) wecken Misstrauen.
Familienbande und ein tragisches Geständnis
Das Besondere an dieser Folge ist die Familiengeschichte, die sich hinter den Kulissen abspielt. Einer der verdächtigen Schüler, Tobias "Tobi" Lubkoll (Ludwig Simon), wird von Maria Simons leiblichem Sohn gespielt. Seine Verbindung zu ihr und zu seinem bekannten Vater, dem "Tatort"-Kommissar Devid Striesow, verleiht der Geschichte eine überraschende und intime Note, die die Authentizität des Films unterstreicht. Im Laufe der Ermittlungen kommt es zum großen Wendepunkt: Die beiden verdächtigen Schüler, Tobi (Ludwig Simon) und sein Komplize, gestehen, die Bombe gebaut zu haben. Doch sie beteuern glaubhaft, sie nicht platziert zu haben. Das wirkliche Motiv und die wahre Täterin enttarnen sich in einem herzzerreißenden Geständnis. Es war die Referendarin Josephine Mayfeld selbst, die die Bombe an sich genommen und im Direktorenzimmer versteckt hatte. Ihr Leben schien ihr nach sechs Jahren Studium und Referendariat sinnlos gescheitert. Der Plan war, die Bombe zu nutzen, um ihr eigenes Leben zu beenden. Doch sie unterschätzte die Empfindlichkeit des Zünders, der bereits auf einen leichten Luftstoß reagierte, als die Direktorin das Fenster und die Türen des Nachbarraums öffnete. Es war ein tragischer Unfall, der die ganze Verzweiflung und den immensen Leistungsdruck offenbart, dem die junge Frau ausgesetzt war.
Gesellschaftskritik pur: Lohnt sich das Einschalten?
Absolut, das Einschalten lohnt sich. Dieser "Polizeiruf 110" ist nicht nur ein packender Krimi, sondern ein Spiegel unserer Gesellschaft. Er beleuchtet den immensen Druck auf junge Menschen, die mit dem Mittleren Schulabschluss ringen, zeigt die Macht und die Gefahren sozialer Medien wie Facebook als Tatmittel und analysiert die Rolle von überengagierten Eltern. Er seziert eine "Hexenjagd" ohne tatsächliche Hexe, in der jeder verdächtig ist und die wahren Motive vielschichtig und menschlich sind. Durch die brillanten schauspielerischen Leistungen von Maria Simon, Horst Krause und dem gesamten Ensemble wird die Geschichte zu einem intensiven, emotionalen Erlebnis. Wer einen tiefgründigen, psychologisch raffinierten und gesellschaftlich relevanten Krimi sucht, der ist hier genau richtig. Es ist ein Film, der nach dem Abspann noch lange nachklingt.