Zwischen Lüge und Liebe: Fernsehfilm "Am Ende des Sommers" heute (27.08.2025) in der ARD

© MDR/ORF/Hubert Mican
Der menschliche Geist ist ein Meister der Verdrängung. Um traumatische Erlebnisse zu überwinden, schafft er Geschichten, die Trost spenden und schmerzhafte Wahrheiten in den Hintergrund rücken. Doch was passiert, wenn diese sorgsam konstruierten Lügen plötzlich zerbrechen und die Realität mit voller Wucht zurückkehrt? Der Film "Am Ende des Sommers", den die ARD heute (27.08.2025) um 20:15 Uhr erneut ausstrahlt (verfügbar auch über die ORF Mediathek), widmet sich genau dieser Frage und bricht dabei ein Tabu im deutschen Fernsehen. Er erzählt die Geschichte von Sylvia (Julia Koschitz) und ihrem 18-jährigen Sohn Ben (Thomas Schubert), die von einer Lüge entzweit werden, die über Jahre hinweg ihr gesamtes Leben bestimmt hat.
Vom Interrail-Märchen zur bitteren Realität
Sylvia hat es geschafft. Alleinerziehend hat sie Ben zu einem aufgeweckten, jungen Mann erzogen, der gerade sein Abitur mit Bravour bestanden hat. Ben ist ihr ganzer Stolz. Um ihn vor einer schrecklichen Wahrheit zu schützen, hat sie über seine Zeugung eine romantische Legende erfunden: Ben sei das Ergebnis einer kurzen, aber intensiven Liebe während einer Interrail-Reise in Florenz. Eine Liebe, die nur einen einzigen Tag andauerte und darum so besonders war. Ben liebt diese Geschichte - sie gibt ihm Halt und eine Vorstellung von dem Vater, den er nie gekannt hat. Doch diese behütete Welt gerät ins Wanken, als Sylvia von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Ben erfährt die schockierende Wahrheit: Er ist das Produkt einer Vergewaltigung. Diese Enthüllung wirft alles über den Haufen: das Vertrauen zwischen Mutter und Sohn, die Vergangenheit und Bens eigenes Selbstverständnis. Während Sylvia beharrlich daran festhält, Herrin ihrer eigenen Geschichte zu bleiben, muss Ben seine eigene Wahrheit finden.
Ein sensibles, mutiges Psychodrama
Regisseur Nikolaus Leytner navigiert durch dieses emotionale Minenfeld mit einer seltenen Sensibilität. Der Film vermeidet Kitsch und reißerische Effekte und setzt stattdessen auf psychologische Tiefe. Er zeigt, wie eine Lüge, die aus Schutz und Liebe geboren wurde, die Beziehung zwischen Mutter und Sohn vergiftet. Dabei ist es vor allem die schauspielerische Leistung von Julia Koschitz und Thomas Schubert, die den Film zu einem so intensiven Erlebnis macht. Beide sind bekannt für ihre Fähigkeit, komplexe, innere Konflikte nuanciert darzustellen, und auch in "Am Ende des Sommers" liefern sie eine beeindruckende Performance ab. Ihre Chemie auf dem Bildschirm ist so stark, dass man die Zerbrechlichkeit und die aufgestaute Wut in jeder Szene spüren kann. Koschitz überzeugt als verzweifelte Mutter, die alles getan hat, um ihr Kind zu beschützen, während Schubert die Verwirrung und den Schmerz eines jungen Mannes, dem die Grundlage seiner Existenz entrissen wird, authentisch darstellt. Der Film wagt es, unbequeme Fragen zu stellen: Kann eine Mutter eine solche Wahrheit jemals offenbaren? Und wie geht ein junger Mann damit um, zu erfahren, dass er das Ergebnis einer so grausamen Tat ist?
Fazit: Ein Muss für Cineasten
"Am Ende des Sommers" ist mehr als nur ein Fernsehfilm. Er ist ein mutiges, schonungsloses Psychodrama, das tief in die Abgründe menschlicher Beziehungen blickt. Er zeigt, dass Liebe und Schutz vor einer traumatischen Wahrheit nicht immer Hand in Hand gehen. Trotz der Schwere des Themas ist der Film kein hoffnungsloser Blick auf das Leben, sondern ein Plädoyer für Ehrlichkeit, Vergebung und die Suche nach der eigenen Identität. Wer intensive, emotionale Geschichten schätzt, die lange nach dem Abspann nachklingen, sollte heute Abend unbedingt einschalten.