Doku "Hirschhausen und der Schmerz": Wenn die Linderung zur neuen Last wird - heute (06.10.2025) in der ARD

© WDR/Guido Rottmann
Eine geniale Erfindung des Körpers wird zur eigenständigen Krankheit: Der Schmerz. Die hochaktuelle Dokumentation "Hirschhausen und der Schmerz" läuft heute um 20:15 Uhr in der ARD und nimmt uns mit auf eine dringende Spurensuche. Der Film beleuchtet nicht nur die stille Schmerzmittelkrise, die Deutschland erfasst, sondern zeigt auch, wie wir die Kontrolle über das körpereigene Warnsystem zurückgewinnen können - oft ganz ohne Pillen. Die Doku "Hirschhausen und der Schmerz" kann auch über die ARD Mediathek gestreamt werden.
Schmerzmittel: Die unterschätzte Gefahr der freien Wahl
Die Zahlen sind erschreckend: Jährlich werden in Deutschland über 100 Millionen Packungen Schmerzmittel verkauft. Fast jeder dritte Erwachsene greift monatlich zu frei verkäuflichen Mitteln wie Ibuprofen, Paracetamol oder Diclofenac. Hirschhausen stellt die unbequeme Frage, ob diese bequeme Linderung nicht längst zu einem unterschätzten, flächendeckenden Risiko geworden ist.
Die Dokumentation zeigt die fatalen Abgründe der sorglosen Einnahme. Dr. Eckart von Hirschhausen trifft den ehemaligen Fußballprofi Ivan Klasnić, dessen Nieren durch die dauerhafte Einnahme von zu viel Diclofenac zerstört wurden - ein prominentes, aber keineswegs isoliertes Schicksal, da Expert’innen von bis zu zehn Prozent Dialysepatienten ausgehen, deren Nieren durch Schmerzmittel geschädigt wurden. Hier wird deutlich: Was im Laden harmlos wirkt, kann bei Gewohnheit Organe wie Leber und Nieren massiv schädigen.
Opiate: Bürokratie als Schutzwall und die tragischen Ausnahmen
Bei den starken, verschreibungspflichtigen Opiaten gibt es eine gesonderte Betrachtung. Zwar ist die Verschreibung dank strenger Betäubungsmittelgesetze regulierter als in den USA, wodurch eine dortige Opioid-Krise in Deutschland bisher ausblieb.
Doch es existieren tragische Ausnahmen. Die 77-jährige Sybille etwa erhielt von ihrer Hausärztin das Siebenfache der empfohlenen Fentanyl-Dosis, wurde abhängig, litt unter Halluzinationen und verlor massiv an Gewicht. Hirschhausen begleitet die ehemalige Krankenschwester in ihrer Entzugsklinik und zeigt, wie Bürokratie und mangelnde Aufklärung Schicksale zerstören können.
Schmerz als Krankheit: Wenn das Warnsignal aus dem Ruder läuft
Der zentrale wissenschaftliche Konsens des Films lautet: Akuter Schmerz ist eine "geniale Erfindung des Körpers" als Warnsignal. Doch der chronische Schmerz läuft neurowissenschaftlich belegt aus dem Ruder und wird zur eigenständigen Erkrankung.
Prof. Christian Büchel, einer der führenden Neurowissenschaftler Deutschlands, erklärt, dass sich neuronale Strukturen im Gehirn verändern und das Alarmsystem zur eigenständigen Krankheit wird. Es ist ein Alarmsystem, das buchstäblich nicht mehr abschaltet - was bei jahrelangem Dauerschmerz die Funktionen im Gehirn verändert. Wer Schmerzen versteht, kann lernen, besser mit ihnen umzugehen.
Turnschuhe statt Tabletten: Die Kraft der multimodalen Therapie
Die Lösung liegt im Verständnis und in der Veränderung der Perspektive. Hirschhausen demonstriert, dass Bewegung die körpereigenen Schmerzmittel - die Endorphine - freisetzt. In einem Selbstversuch auf dem Rennrad an der Uniklinik Hamburg testet der Arzt unter Monitorüberwachung, wie gut das menschliche Schmerzabwehrsystem funktioniert und wie es aktiv beruhigt werden kann.
Ein Besuch in der LUP-Klinik in Hagenow zeigt, wie die multimodale Schmerztherapie funktioniert: Sie setzt auf eine Kombination aus Bewegung, psychologischer Begleitung und bewusster Lebensgestaltung - und eben nicht nur auf Pillen.
Die zentrale Botschaft widerspricht alten, tief verwurzelten Denkfehlern. Galt früher "Rücken? Ab ins Bett!" als Standard, weiß man heute: Schonung verschlimmert das Problem. Hirschhausen bekennt: "Viel von dem, was ich noch vor 30 Jahren im Studium gelernt habe, ist längst widerlegt. Und wenn ich das nächste Mal ’Rücken’ habe, greife ich nicht zu einer Tablette, sondern zu den Turnschuhen!" Seine Dokumentation ist ein leidenschaftlicher Aufruf, das eigene Schmerzempfinden zu verstehen und die mächtigen, körpereigenen Mechanismen zu aktivieren, um Wege aus dem Schmerz zu finden, die nicht auf Medikamente setzen.